Danksagung von Manfred Alberti

Das Dönberger Hospiz
Eine Angst, ein Verdacht, eine Untersuchung und dann die Bestätigung: Es ist Krebs. Vielleicht eine leichte, gut behandelbare Erkrankung, vielleicht aber auch eine schwere: Das Leben ändert sich radikal. Krankenhausaufenthalte, Bestrahlungen, Chemotherapien – verschiedene Ärzte mit verschiedenen Ratschlägen. Menschen und Familien werden vor gänzlich neue Herausforderungen gestellt. Ängste und Hoffnungen wechseln sich ab.
Eine Zeit, in der die Zukunft neu durchdacht wird. Wie lange lebe ich noch? Wie will ich leben? Familie und Verwandte springen helfend ein, oft Optimismus verbreitend und den Lebensmut stärkend. Zwischendurch sinkt die Stimmung in ungeahnte Tiefen. Zeiten zuhause und Zeiten im Krankenhaus wechseln einander ab. Die Kräfte werden weniger, die nötige Hilfe größer.
Mancher kann seinen Krebs besiegen und muss sich nur noch jährlich untersuchen lassen. Bei anderen werden die Intervalle zwischen den Krankenhausaufenthalten immer kürzer. Die Hoffnung stirbt zuletzt – sagt der Volksmund. Und wirklich klammert sich mancher an den letzten Strohhalm.
Doch die Beantwortung der in diesem Moment zentralen Frage lässt sich irgendwann nicht länger hinausschieben: Kann ich mir noch eine realistische Hoffnung darauf machen, mit ärztlicher und pharmazeutischer Kunst noch eine Zeitlang lebenswürdig weiterzuleben, oder beschränke ich die medizinische Kunst für mich besser darauf, meine Schmerzen und Leiden zu lindern oder ganz abzustellen, mich nur noch palliativ behandeln zu lassen? Eine tief existentielle Fragestellung, denn die Sicherheit des kommenden Todes ist dann nicht mehr zu leugnen. Aber die Lebensqualität des letzten Lebensabschnitts kann enorm steigen: Keine Chemotherapie, keine Bestrahlungen, keine Medikamente mit Nebenwirkungen, keine Operationen, keine Krankenhausaufenthalte. Weitgehend ohne Schmerzen kann ich ruhig leben: Vielleicht körperlich immer schwächer werdend, vielleicht mit immer mehr abnehmendem Verstand und Erinnerung, vielleicht mit immer weniger Kraft, meine Umgebung wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Der Weg ist ein ruhiger Weg in die Stille: anders als ein Kind, das immer mehr wächst und zunimmt an Fähigkeiten, nimmt der Kranke immer mehr ab: Der Lebensbogen neigt sich dem Ende zu, wie es die Schöpfung vorsah und wie es menschliches Schicksal seit immer ist. Aber es ist trotzdem eine tiefgehende Entscheidung: Lasse ich so dem Lebensweg seinen Lauf und beschränke ich die Macht der Medizin darauf, mir Schmerzen zu ersparen und eine ruhige letzte Wegstrecke zu erleben?
Eng verbunden mit dieser Frage ist die Frage, wie und wo ich meine letzten Wochen, Tage und Stunden erleben möchte: Ist die Familie stark genug, auch Zeiten der intensiven Pflege auszuhalten? Kann ich genügend Pflege und Schmerztherapie durch Pflegekräfte oder spezialisierte ambulante Palliativ-Versorgung (SAPV) bekommen? Und was mache ich, wenn die Familie trotz allen guten Willens überfordert ist oder ich keine Familie habe, die helfen kann?
In diesen Überlegungen spielt das stationäre Hospiz eine immer wichtigere Rolle. Viele Menschen haben keine Angehörigen, die sie rund um die Uhr pflegen können. Andere Menschen wissen genau, wo die Grenzen sind und was sie ihren Angehörigen zumuten müssen und sehen im Hospiz eine gute Alternative. Genervt von vielen Krankenhausaufenthalten mit geregeltem frühen Fertiggemachtwerden, mit passivem Erleben vieler Ärztebesuche und mit einer ganz geringen Intimsphäre sehnen sich Menschen nach einem wieder selbstgestalteten Leben, wo sie ihre nur noch geringen Möglichkeiten selbstbestimmt ausleben können.
Ein eigenes Zimmer, Wachwerden, wenn der Schlaf zu Ende ist, körperliche Pflege nicht nach Zeitplan, sondern wenn ich möchte, Frühstück und Mahlzeiten, wenn mir danach ist, ein Fernseher für mich alleine, Besuche der Freunde und die Begleitung der Angehörigen sind rund um die Uhr möglich: Das Leben im Hospiz kommt vielen nach den Krankenhauserfahrungen wie ein Paradies vor. Die Dosierung der Schmerzmittel kann man bald selbst einstellen, je nachdem, was der Körper braucht, und rund um die Uhr ist eine Pflegekraft da, um unerwartete Komplikationen zu beheben.
Und es gibt nicht nur mit den Pflegenden sondern auch mit haupt- und ehrenamtlichen Seelsorgenden Zeit für Gespräche. Manches lange Belastende kann dabei ans Tageslicht kommen und manchmal mit wenigen Informationen, mit wenigen Fragen seine belastende Kraft verlieren. Wenn das möglich ist, soll die letzte Lebensphase in Ruhe gelebt werden können: Das ist ein Kernziel der neuzeitlichen Hospizbewegung, die 1967 von der englischen Medizinerin Cicely Saunders in London ins Leben gerufen wurde. Nicht nur der Körper des Patienten soll wie im Krankenhaus im Mittelpunkt stehen, sondern der ganze Mensch, mit seiner Geschichte, mit seinen schweren und schönen Erfahrungen, zusammen mit seinen Angehörigen. Soweit wie möglich soll der Mensch schmerzfrei, ruhig und in Frieden Abschied nehmen können.
Die Palliativmedizin möchte den Menschen nicht mehr heilen, sondern möchte ihm schmerzfrei eine gewisse Lebensqualität erhalten und wiedergeben.
Dann wecken die Düfte von den am Dienstagnachmittag im Foyer des Hospizes für Patienten und Gäste gebackenen Waffeln auf einmal Erinnerungen und die Waffel schmeckt so gut wie seit Ewigkeiten nicht. Klänge des Organisten rufen mittwochs vor ewigen Zeiten gespeicherte Liedtexte und Melodien wach. Bei Spezialwünschen des Patienten versucht das Hospiz zusammen mit den Angehörigen und ehrenamtlichen Helfern zu helfen: Noch einmal ein bestimmtes Gericht essen können, ein Eis gegen die Halsschmerzen, ein Telefonat mit einem lange verlorenen Freund. Rund um die je einzigartige Persönlichkeit des Gastes will man Wege finden, die letzte Lebensphase menschlich zu gestalten: Die Zufriedenheit erleichtert das Sterben. Und dabei soll möglichst keiner alleine sein, es sei denn, er wünscht das ausdrücklich. Immer können Menschen in der Nähe sein: Angehörige können in einem eigenen Zimmer übernachten. Sie, Pflegende und ehrenamtliche Helfer können dann in den letzten Stunden bei dem Sterbenden sein, seine Hand halten und ihn spüren lassen, dass er nicht alleine ist.
Die Hospizbewegung hat besonders die Angehörigen im Blick. Ihnen soll geholfen werden, den Weg des Sterbenden zu akzeptieren, zu begleiten und dabei mit dem Tod von Mutter oder Vater, Bruder oder Schwester, Sohn oder Tochter selbst zurecht zu kommen. Gedanken an den eigenen Tod erschrecken viele Menschen und machen es ihnen schwer, einen Sterbenden zu begleiten. Im Hospiz bekommt der Tod seine Selbstverständlichkeit und seine Natürlichkeit zurück, die ihm die Medizin mit ihren Heilungsbemühungen bis ins hohe Alter oft genommen hat.
Der Tod ist ein Teil des Lebens und in einem christlichen Hospiz, wie in Dönberg, kann dann auch geistlicher Trost eine nicht unwichtige Rolle spielen: Nicht aufgezwungen, aber immer angeboten, wenn der Patient das wünscht. Sich im Leben wie im Tod in der Hand Gottes zu fühlen, kann den letzten Lebensweg sehr
erleichtern: Es nimmt den vielen, bei jedem Menschen natürlicherweise vorhandenen schlechten Erinnerungen ihre zerstörerische Kraft: Der Glaube an Gottes Vergebung von Schuld erleichtert das Denken an den Tod.
So steht der ganze Mensch mit allen seine Facetten und es stehen die Angehörigen im Mittelpunkt der Arbeit im Hospiz. Der Tod als natürliches Ende des Lebens verliert viel von seinem Schrecken. Die Angst vor dem letzten Atemzug verfliegt: es wird zum beruhigenden und berührenden Erlebnis, einem Sterbenden dabei die Hand halten zu können. Und der Sterbende ist nicht allein.
Wie wichtig und gut diese Arbeit ist, haben auch die Regierenden, die Parlamente und die Krankenkassen gesehen. Die Kosten des Aufenthaltes im Hospiz werden von der Solidargemeinschaft getragen: Ein würdiges Sterben soll allen Menschen möglich sein.
Früher lebten Menschen bis zu ihrem letzten Atemzug im Kreise ihrer großen Familie. Heute in Zeiten von Kleinfamilien und Singlehaushalten ist das oft nicht mehr möglich. Krankenhäuser sind mit der Hektik ihres Betriebes und ihrer Verpflichtung zur Heilung kein guter Ort zum Sterben. So füllen seit wenigen Jahren die Hospize eine wichtige Lücke aus. Und viele der Bewohner und ihrer Angehörigen sind unendlich dankbar, dass es diese Möglichkeit des Abschieds von irdischen Leben gibt.


Aus dieser persönlich erlebten großen Dankbarkeit über das Dönberger Hospiz ist dieser Artikel entstanden.

Manfred Alberti, Wuppertal

Pfarrer im Ruhestand und Mitglied des Fördervereins